SPIEGEL
ONLINE ++ 22. November 2014,
13:57 Uhr
Premiere in Hamburg + Der Erde eine Sonnenbrille aufsetzen
Von Werner Theurich
Die Theatergruppe Rimini Protokoll tagte mit dem Thema Klima im Schauspielhaus
Hamburg, und alle Zuschauer mussten mitmachen. Ständig tickte die Uhr, es gab
viel zu tun - wie im richtigen Leben.
Ich bin Jemen. Naher Osten, über 500.000 Quadratkilometer groß, meist Wüste,
fast 2000 Kilometer Küste, ein kommender Problemfall in Sachen Klimawandel. Ein
Los hat mir das Land an der Südgrenze Saudi Arabiens zugeteilt, das Los per
Eintrittskarte, das alle Teilnehmer dieser "Welt-Klimakonferenz" im
Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu Vertretern eines Staates macht, jeder ein
Delegierter mit Verantwortung, Entscheidungsgewalt und eventuell Geld, das er
oder sie zur Rettung des Klimas verteilen darf. Jeder muss mitmachen, keiner
soll passiver Zuschauer sein, denn das ist das Prinzip der Theater-Performances
des im Jahre 2002 gegründeten Theater-Kollektivs Rimini Protokoll.
Rund 600 Teilnehmer wuseln nach der kurzen Begrüßung durch das (echte)
Wissenschaftlergremium durchs große Haus an der Kirchenallee gegenüber dem
Hamburger Hauptbahnhof, im gnadenlosen 20-Minuten-Takt, zu Meetings,
Diskussionen, Vorträgen, kurzen Bustouren und Happenings, es bleibt wenig Zeit
zum Ausruhen, aber wundersamerweise verläuft sich niemand.
Ob Hinterbühne A oder B, Marmorsaal, Bushaltestelle oder Keller, alle
Teilnehmer rauschen zielgenau durch die Räume. Eine organisatorische
Meisterleistung des Rimini-Teams, das allerdings über zehn Jahre Erfahrung mit
solchen Veranstaltungen hat. Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel
arbeiten als Team und auch einzeln, aber stets geht es um die Gegenüberstellung
von Politik und Theaterformen. Die Realität soll im Theater stattfinden und
stets als solche erkennbar bleiben.
Eine organisatorische Meisterleistung
Diese "Welt-Klimakonferenz" im Schauspielhaus findet passend zur
nächsten realen Klimakonferenz in Lima statt, bei der sich im Dezember wieder
fast 20.000 Teilnehmer in der peruanischen Hauptstadt treffen werden. Die
Vorstellung von Rimini Protokoll in Hamburg ist also eine mikroskopische
Angelegenheit dagegen, aber der Maßstab stimmt: Es sind echte Wissenschaftler,
die an diesem Abend leiten und vortragen, echte Zeitzeugen und wahrhaftige
Menschen aus den betroffenen Ländern und Vertreter verschiedener
Interessengruppen, die ebenso authentische Texte, meist improvisiert vortragen.
Auch wenn sich das manchmal wie Theater anhört.
Star des Abends ist entsprechend der
Physiker Dr. Florian Rauser, Klimaexperte am Max-Planck-Institut und
Koordinator für ein aktuelles Klimaprojekt in Deutschland, der so eloquent,
pointiert und charmant durch den Abend führt, dass man ihn glatt für einen
Schauspieler halten könnte. Aber muss das nicht auch sein, wenn man
Tausende von Menschen auf ein schwierig zu erlangendes Ziel einschwören will?
Das ist der geniale Trick vom Trio Rimini Protokoll, die ausgewählten Parts der
Realität so stark für sich selber sprechen zu lassen, dass sie im scheinbar
künstlichen Theaterrahmen plötzlich scharf konturiert und sinnlich erfahrbar
werden.
Mit dem Bus durch St. Georg
Im Bus, der vor dem Theater zu einer Rundtour durchs Multikulti-Viertel St.
Georg aufbricht, erzählt die Iranerin Dr. Schirin Fahti ebenso von ihrer Arbeit
als Entwicklungsökonomin mit Schwerpunkt Klima, wie auch von ihrem Leben
zwischen Deutschland und Iran nach der islamischen Revolution. Die Meteorologin
Rosemarie Benndorf leitet einen kurzen Workshop zum Thema Strategieberatung: ein
Gebiet, auf dem sie sich seit ihrer Mitarbeit in Sachen Landnutzung beim
inzwischen historischen Kyoto-Protokoll bestens auskennt. Und weil jeder Teil
des "Tagungsprogramms" nicht länger als die vorgegeben 20 Minuten
dauert, gewinnt die Veranstaltung einen völlig untypischen Drive für
Theaterveranstaltungen.
Willkommen daher der eingeschobene Lehrvortrag zum Thema Dürre, bei dem sich
die Gruppen auf flache Liegen niederlassen dürfen, per Kopfhörer sanften Worten
lauschen - und gleichzeitig von einer Riesensonne in Gestalt gnadenloser
Bühnenscheinwerfer angebraten werden.
Zum Schluss der Absturz
Der immer größer werdenden Hitze in einigen Ländern Herr zu werden, ist Ziel
von revolutionären Ideen, die gegen Ende der Tagung von Wissenschaftlern
vorgetragen werden: Die Erde soll zum Beispiel mit Flugzeugen, die bestimmte
Gase verteilen, abgekühlt werden - Stichwort Geo-Engineering. "Wir setzten
der Erde sozusagen eine Sonnenbrille auf!", kritisierte Dr. Bernd Hezel
vom Potsdamer Institut für Klimaforschung (PIK) diese untauglichen Ideen. Noch
einmal fassen alle Experten aus ihrer Sicht die Ergebnisse zusammen, manches
ist wohltönendes Blabla, andere sind gebetsmühlenartige Wiederholungen.
"Es ist schon alles gesagt, nur nicht von allen", referiert der bekannte
Klimaexperte Prof. Dr. Mojib Latif ein bekanntes Karl-Valentin-Zitat.
Am Schluss sollen die Geldsummen der Geberländer sowie konkrete Klimaziele der
Arbeitsgruppen in einem großen Diagramm auf einer Präsentationsleinwand
dargestellt werden. Aber das Laptop-Programm stürzt ab. Auch fast wie im
richtigen Leben.
Danach wird es noch einmal ganz heiß: Alle Bühnenscheinwerfer strahlen als
Riesensonnenkugel auf das Plenum, ein unangenehmes Gefühl. Schließlich soll man
keineswegs entspannt den Saal verlassen. Auch wenn schließlich doch großer
Beifall auf das Organisationsteam dieses "Welt-Klimagipfels"
niederprasselte. Das Rimini Protokoll ist noch längst nicht abgeschlossen.